Winter ist, trübsinniges Wetter, motorradmäßige Saure-Gurkenzeit (obwohl die Transalp unten auf dem Firmenparkplatz auf mich wartet..), Zeit also, sich durch schöne Erinnerungen über Wasser zu halten. Der Job gibt augenblicklich auch nicht gar so viel her, die Jahresendhektik ist vorbei, genug Zeit, Dinge zu tun, die ich immer schon mal tun wollte, z.B. die Rechner so richtig bis aufs Blut zu quälen, endlich mal die Grenzen der neuen Maschine herauszufinden oder ... Da fällt mein Blick auf die Magnetwand hinter meinem Schreibtisch, auf die zwei großformatigen Fotos, die da angepinnt sind. Das eine zeigt mich und meine Transalp auf der Nordrampe des Col du Galibier, in einer Spitzkehre zwischen wohl 3 m hohen Schneewänden, das andere den Horst und seine BMW in einem Fluß, einen Riesenschwall Wasser nach allen Seiten verspritzend. Ja, und da ist sie, die Erinnerung an eine zwar kurze, aber erlebnisreiche Tour. Eine Tour, von der wir zwar im internen Kreis berichtet hatten, die wir aber damals (Juni 1990) aus verschiedenen Gründen nicht an die große Glocke hängen wollten. Jetzt haben sich die Zeiten und die Umstände geändert, und ich denke, jetzt kann man mal darüber berichten, weil die Gefahr, Nachahmer zu finden, mittlerweile wohl etwas geringer geworden ist. Wobei ich da gar nicht mal so sehr an die MEPs, MFPs und PMCler denke, die sind verantwortungsvoll genug, aber wer weiß, wem das sonst noch in die Hände fällt...
"Wir sollten mal eine Tour in den Ostharz machen," hatte Horst gesagt, "nur wir beide, nachmittags, mitten in der Woche." Der spinnt, war mein erster Gedanke, aber je länger ich darüber nachdachte, desto mehr konnte ich mich damit anfreunden. Ich hatte von einem Endurofahrer mal gehört, daß es eine legale Möglichkeit gäbe, den Brocken (den höchsten Harzberg, für alle, die sich da nicht so gut auskennen) mit dem Motorrad zu erklimmen; sie hätten es aber nicht versucht, weil sie jemanden mit einer Straßenmaschine dabei gehabt hätten. Diese Idee hatte sich in meinem Kopf festgesetzt, und dafür schien ein Wochentag gut geeignet zu sein, weil dann wohl nicht mit so viel Volk auf dem Berg zu rechnen war wie am Wochenende. Und so ganz wohl war mir bei dem Gedanken letztlich doch nicht ... "Ok, laß uns das dynamisch festlegen, genug Überstunden habe ich!"
Dienstag, 26.6., herrlichstes Wetter. Ich wollte gerade zum Telefon greifen, um Horst anzurufen, da klingelt's. "Na, wie siehts aus?" "Treffpunkt 12.00 Uhr bei mir. Gegessen wird in der DDR."
Autobahn bis Seesen, von da über Bundesstraße nach Bad Harzburg, dann den Standard-Grenzübergang Eckertal - Stapelburg. Die Vopos winkten mittlerweile nur durch, kaum eine Spur von Paßkontrolle und so'nem Kram. In Ilsenburg versuchten wir das erste Mal, etwas zu Essen zu bekommen, aber wir waren ja in der DDR: "Es gibt nur ..." ich weiß nicht mehr, jedenfalls absolut nichts, wonach uns auch nur im entferntesten der Sinn gestanden hätte. "Laß uns mal Richtung Schierke fahren, da gibt's genug Kneipen!" Eine Pleite nach der anderen, in Schierke schließlich, im VEB Parteierholungsheim (oder war's von der Reichsbahn?) gab es doch Futter für uns. Naja, unsere Firmenkantine ist gemütlicher, dafür war das Essen hier billig und es schmeckte sogar. Nun, die Örtlichkeit hielt uns hier nicht fest, und so machten wir uns auf die Socken, um den Brocken zu besteigen. Tatsächlich, ein richtiger Weg und kein Schild. Ganz kurz zögerten wir noch, dann legten wir den ersten Gang ein und fuhren vorsichtig los. Die Idee, daß unter der Woche nicht so viele Leute hier seien, erwies sich als durchaus richtig, und die, die uns entgegenkamen, machten durchaus keinen unfreundlichen Eindruck. Der Weg, der anfangs parallel zur Eisenbahnstrecke verlief, wurde zu einem Hohlweg über Stock und Stein. Später erfuhren wir, daß es ein Stück der alten Bob-Bahn gewesen sei, über das wir gefahren waren. Schließlich erreichten wir die asphaltierte Straße, die auf den Gipfel führt, und um nicht weiter durch den Wald zu krauchen, beschlossen wir, jetzt Asphalt unter die Räder zu nehmen. Langsam und vorsichtig fuhren wir weiter bergauf, um uns nicht doch den Zorn des einen oder anderen Radfahrers oder Fußgängers zuzuziehen. Aber selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte gar nicht schneller fahren können. Ich konnte mich nicht auf das Fahren konzentrieren, es war nebensächlich geworden. Vor weniger als einem halben Jahr noch wären wir mit dem Motorrad gar nicht in die DDR hineingekommen, Transitstraßen ausgenommen, und selbst wenn, auf den Brocken hätten wir uns nie im Leben gewagt. Der war militärisches Sperrgebiet, und wer da erwischt worden wäre, hätte die nächsten Jahre gesiebte Luft atmen dürfen.
Während mir dies alles durch den Kopf ging, waren wir mittlerweile wohl bis auf einen Kilometer an den Gipfel herangekommen, die Antennenmasten oben waren in der Luftlinie schon ganz nahe. Wir bogen gerade um eine Ecke, da sah ich zwei graugrüne Uniformen uns entgegenkommen. Ach-du-Scheiße, mit allem hatte ich ja gerechnet, hatte mich sogar auf Kontakt mit Russen vorbereitet, indem ich meine seit Jahren verschütteten Russisch-Kenntnisse etwas aufpoliert hatte, aber daß sich Vopos zu Fuß hier herauftrauten, da war ich nicht drauf gekommen. Also was tun? Die waren wohl noch 150 m weg. Umdrehen, abhauen? Die hatten was umhängen, das wie ein Funkgerät aussah, und gesehen haben mussten sie uns auch schon. Das brachte also nichts, hätte nur unser schlechtes Gewissen dokumentiert. Also weiterfahren wie bisher, vielleicht tun sie uns ja nichts. Doch, sie bedeuteten uns anzuhalten. "Gudn Dach, wo gommn denn Sie här?", wollte der Ältere von ihnen wissen, und ob wir nicht wüßten, daß diese Straße für den Verkehr gesperrt sei? Oh boy, jetzt ganz cool bleiben. Ich erzählte ihm, woher wir gekommen waren, und daß da kein Schild ... "Wirklich, ehrlich nicht, sonst wären wir niiee hier!" "Aber ich habe da selber ein Schild aufgestellt!", meinte er, um dann nach einigem Überlegen zu dem Schluß zu kommen, daß wohl jemand das Schild wieder abgebaut haben und er uns das Gegenteil nicht beweisen könnte. "Aber tolle Maschinen haben Sie da, wieviel PS haben die denn, und wie schnell sind die?" Puuh, auf dem Gebiet konnten wir wieder mitreden, und bald waren wir im schönsten Fachsimpeln. Ein paar Wanderern, die wohl irgendetwas Unfreundliches gesagt hatten, wurde beschieden, daß unsere Anwesenheit hier oben schon in Ordnung wäre. Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen.
Schließlich kamen zwei junge Frauen an, die anfragten, wieweit es noch zum Gipfel sei und wie spät es denn wohl sei. Als sie hörten, daß es schon 16 Uhr sei, wurden sie kreidebleich und erzählten, sie hätten mit ihrer Göttinger Firma einen Betriebsausflug hierher gemacht, hätten sich lange vor 15 Uhr auf den Weg hier herauf gemacht, und um 17 Uhr sollte ihr Bus wieder abfahren. Hüben wie drüben Ratlosigkeit, für uns aber die Gelegenheit, uns als Retter in der Not zu erweisen und uns gleichzeitig aus dem Staub zu machen. Wenn die Damen sich also auf ein Motorrad trauten und die Polizei nichts dagegen hätte, daß die Damen ohne Helm ... Die Damen trauten sich, und die Polizei hatte nichts dagegen. "Und wenn ein Kollege Sie unten anhält, beziehen Sie sich ruhig auf uns, er kann dann ja über Funk nachfragen. Und fahrt vorsichtig, Ihr wißt ja, die Mädels haben keinen Helm!" Ja, wir fahren vorsichtig, und Euch werden wir so schnell nicht vergessen! Über die Abfahrt ist nichts weiter zu sagen, als daß meine Passagierin es toll fand, auf diese Weise unverhofft noch zu einer Motorradfahrt gekommen zu sein.
Wieder in Schierke, bei diesem VEB-Heim. "Wo ist denn nun Euer Bus?" "Ja, äh, hm, der ist blau!" Ach so, naja, so groß ist Schierke ja nicht, den werden wir schon finden. Vom oberen Teil Schierkes fuhren wir nach unten, kämmten sämtliche zwei Parkplätze ab, fanden aber keinen blauen Bus. Dann machten wir erst einmal Brainstorming. "Wie seid Ihr denn hierhergekommen? Ist Euch irgendetwas aufgefallen?" "Wir sind mit dem Zug gekommen, vom Bahnhof sind wir ein paar Minuten gelaufen, zu einem Ferienheim oder so, und da stand der Bus!" Immerhin, war doch was, es mußte also im oberen Teil sein. Horst brummte irgendetwas in den Bart, das wie "Määdchen!" klang. "Da!", rief 'meine' plötzlich und deutete auf das Ernst-Thälmann-Heim in einem kleinen Park, "so ähnlich sah das aus, aber das ist es nicht." Dann, als wir fast vorbei waren: "Doch, doch, das ist es! Da steht ja der Bus!" Nunja, für meinen Geschmack war der Bus eher grün, hauptsächlich aber gelb. Das Hallo war groß, als die Mädels mit zwei wildfremden Endurofahrern am Picknickplatz auftauchten... Wir kamen jedenfalls auf diese Weise noch zu einer Tasse Kaffee und einem Stück Kuchen. Und erfuhren, daß der Bus erst um 18.30 Uhr wieder abfahren sollte, man sich um 17.00 Uhr nur zum Kaffeetrinken hier treffen wollte ...
Liebe Freundinnen! Ich habe diese Story nicht so ausgewalzt, weil es sich um Angehörige des weiblichen Geschlechts gehandelt hatte, die da ohne unser Eingreifen vielleicht heute noch um den Brocken irren würden, es hätte genau so mit Jungs passieren können, aber ich schwöre Euch, es war genau so, und nicht anders!
Bald saßen wir wieder auf den Motorrädern und fuhren über Elend (der Ort heißt wirklich so! Deshalb war ja nach Meinung der Harzer der Brocken Sperrgebiet, weil man, wenn man dort oben steht und nach Osten blickt, Elend sieht ...) zur größten Talsperre der DDR, dem Rappbode-Stausee. Es ist schon eindrucksvoll, wenn man von der Staumauer aus ins Bodetal hinabblickt. Durch ebendieses Tal führte uns der weitere Weg nach Treseburg, wo ich an der Furt durch die Bode anhielt, um mein Visier von den mittlerweile reichlich dort vorhandenen Fliegenleichen zu befreien. Horst hatte das wohl irgendwie anders verstanden. "Genau, habe ich immer schon überlegt, ob man da nicht durchfahren kann!" Ein einheimisches Rentnerehepaar stachelte ihn noch auf: "Ja, machense mal! Mit Autos fahren die hier immer durch, ist der einzige Weg zu den Häusern da drüben, aber mit dem Motorrad hat das noch keiner gewagt." Das darf man Horst natürlich nicht sagen. Helm auf, Kuh angeworfen und hinein ins Naß. Ich konnte mich dann auch nicht mehr halten und fuhr hinterher, scheuchte Horst dann zwecks Fotos noch einmal durch den Fluß. Erfolg der Aktion: zwei nasse Füße (meine), ein strahlendes Rentnerehepaar, das uns dann gleich von den diversen Motorrädern erzählte, die sie im Laufe der Zeit besessen hatten, und "standing ovations" von den Besuchern des Kaffeegartens auf der anderen Seite des Flusses.
In Treseburg bogen wir dann rechts ab Richtung Hexentanzplatz und Friedrichsbronn (diese Straße ist an Wochenenden gesperrt) und fanden hinter Breitenstein die Naturstraße hinüber nach Straßberg. Dann fuhren wir über Alexisbad und Mägdesprung durch's Selketal (wie ein so schöner Fluß nur so stinken kann!) nach Gernrode. Hinweis für Eisenbahnfreunde: Auf dieser Strecke besteht an verschiedenen Stellen von der Straße aus die Möglichkeit, die Züge der Selketalbahn, der ältesten Schmalspurstrecke im Harz, zu fotografieren. Die Züge werden größtenteils noch von Dampflokomotiven gezogen, wie übrigens auch die Züge der Harzquerbahn von Wernigerode nach Schierke und weiter auf den Brocken.
Zwischen Gernrode und Quedlinburg kamen wir dann auch noch mit Russen in Kontakt, als wir irgendwie nicht mehr richtig weiterwußten und mit der Frage nach dem Weg an zwei junge russische Offiziere gerieten, die in Zivil ihre Jogging-Runde drehten. Sie bedeuteten uns, der einfachste und nächste Weg nach Neinstedt sei durch ihre Siedlung. Ja, jetzt wußte ich wieder, wo wir waren, und weil da so eine schöne Naturstraße war, fuhren wir in Richtung Russensiedlung. Und da war es wieder, dieses merkwürdige Gefühl. Als ich das letzte Mal hier war, so vor knapp 20 Jahren (Verwandte von mir wohnen in Bad Suderode), hatte man mir geraten, um diese Siedlung einen Riesenbogen zu machen. Natürlich ist uns nichts passiert, bloß hinter allen Fenstern war plötzlich Bewegung, als wir langsam durch die Siedlung tuckerten. Die Naturstraße, die uns vorhin so erfreut hatte, bekam plötzlich einen ganz anderen Sinn, denn auch zwischen den Häusern war nichts von Asphalt oder ähnlichem zu entdecken, nur ein paar Steinplatten, um bei Regenwetter nicht den ganzen Dreck der Straße in die Häuser zu tragen. Die Häuser selber machten einen verwahrlosten Eindruck, was sicher nicht auf die Bewohner zurückzuführen war. Die paar, die wir sahen, machten einen einfachen, aber ordentlichen Eindruck. Schüchtern wirkten sie, eingeschüchtert gar? Als ich die beiden Offiziere vorhin gefragt hatte, ob sie Russen seien, wichen sie unwillkürlich zurück, als ob sie Angst hätten. Jedenfalls machten sie nicht den Eindruck der Killerhorden, den man ihnen hier im Westen immer nachsagt(e). Zufall? Weil es Offiziere waren mit ihren Familien (nur Offiziere dürfen außerhalb der Kaserne wohnen und ihre Familien mitbringen)? Ich weiß es nicht, ich traf jedenfalls häufiger Russen und ich lebe immer noch ...
Bei Neinstedt statteten wir der Teufelsmauer einen Besuch ab, einer Gruppe von schroffen, ziemlich unmotiviert in der Landschaft stehenden Felsen, die der Sage nach entstanden sein sollen, als der Teufel einmal mit Gott gewettet hatte, er könne die Menschen im Harz einsperren, indem er von Sonnenuntergang bis zum ersten Hahnenschrei eine Mauer rund um den Harz zöge. Fast hätte das auch geklappt, wenn da nicht dieser Hahn gewesen wäre, der wohl etwas falsch ging und ausgerechnet an dem Morgen zu früh krähte. Vor lauter Wut riß der Teufel dann die Mauer wieder ein, nur hier bei Neinstedt blieb sie stehen.
Weiter ging es über Thale hinauf zum Hexentanzplatz. Auch hier war ich das letzte mal vor 20 Jahren mit -- Ihr kommt nicht drauf! Jawohl, mit einem Motorrad! Mit der 250er Jawa meines Cousins Rolf, und meinen Vater hatte ich auf den Sozius gepackt. Damals konnte man da oben frische Bratwurst kaufen und sie am öffentlichen Grill selber braten, und wir führten seinerzeit das Würzen der Wurst durch Besprenkeln mit Bier während des Grillvorganges dort ein. Ja wirklich, vorher hatte das nie jemand gemacht, und etliche Jahre später erzählte Rolf, als er hier im Westen zu Besuch war, daß die Leute immer noch ihre Wurst mit Bier bespritzen würden... Ich hoffte, daß diese Art der Nahrungsaufnahme immer noch hier üblich wäre, der Kiosk stand da auch noch, auch der Grill, aber es war mitten in der Woche und schon nach 20 Uhr, und so waren wir absolut allein dort; was natürlich auch seinen Vorteil hatte, denn so konnten wir den grandiosen Ausblick auf die Landschaft ungestört auf uns wirken lassen: den weiten Blick über Thale hinweg ins Harzvorland, auf der anderen Seite über die tief und steil abfallende Bodeschlucht hinüber zur Roßtrappe. Etwas später im Jahr führte ich eine sonntägliche Clubausfahrt hierher, besser gesagt, ich wollte es, aber auf halbem Weg zwischen Thale und dem Hexentanzplatz begann die Autoschlange. Ossis, Wessis, Engländer, Holländer, alles. Wir machten damals frustiert kehrt und fuhren auf die andere Seite zur Roßtrappe, wo erfahrungsgemäß nicht gar so viel los ist, weil es nicht so bekannt ist.
Auch zu diesem Ort gibt es natürlich eine Sage: Da soll seinerzeit ein Ritter namens Bodo ungeheuer scharf gewesen sein auf das Edelfräulein Brunhilde, die aber Bodos Gefühle in keiner Weise erwiderte, sondern ihr Pferd bestieg und vor seinen Annäherungsversuchen floh. Bodo enterte seinen eigenen Klepper und jachterte hinterher, bis beide an eine tiefe Schlucht kamen. Bruni gab ihrem Gaul noch einmal die Sporen und setzte über die Schlucht, für Bodo allerdings reichte es nicht ganz: er fiel in den Fluß und mußte sich mit Brunis goldener Krone begnügen, die sie im Sprung verloren hatte. Der Huf ihres Pferdes hinterließ bei der Landung einen riesigen Eindruck, eben die Roßtrappe, während Bodo immerhin noch dem Fluß als Namensgeber dienen durfte.
Aber es war jetzt Zeit, endlich den Heimweg anzutreten, nicht daß uns die Hexen noch während ihres abendlichen Tanzes erwischten ... Irgendwie meinte ich irgendwo gelesen zu haben, daß bei Sorge ein Grenzübergang für Fahrzeuge existierte. Also auf nach Sorge, am besten wieder durchs Bode-Tal. In Sorge angekommen, bemerkte ich dann die Pleite: der Übergang ist nicht in Sorge, sondern etliche Kilometer weiter südlich, in Benneckenstein. Soweit wollten wir nicht fahren, also dachten wir uns, wir fahren nach Elend zum dortigen Fußgängerüberweg. Irgendwie würden wir um diese Zeit da schon rüberkommen, zur Not schiebenderweise. Vor einem hohen Zaun bog die Straße nach Elend nach Norden ab. Zaun? Achja, der Grenzzaun. Aber da war ja ein großes Loch drin im Zaun, und dahinter führte ein Weg nach Westen, mit einem Schild dran, daß er nur auf eigene Gefahr zu begehen sei und sowieso nicht weit führe. Ob das ...? Wir sind ja allem Neuen gegenüber aufgeschlossen, also probierten wir es. Vorsichtig tasteten wir uns über den Weg vor; wir waren jetzt wohl mitten im ehemaligen Todesstreifen. Hoffentlich wirklich ehemalig, aber auf dem Weg konnte ja eigentlich nichts passieren. Dann der zweite Zaun, ebenfalls durchlöchert. Der Weg führte weiter, endete schließlich abrupt an einem wohl 2m breiten Bach. Eine Brücke gab's hier nicht, nur einen 20 cm breiten Balken, der quer über dem Bach lag. Na, das war nun wirklich nichts für uns. Was nun? Man konnte man sich hier wohl sicher fühlen, immerhin war hier schon ein Grillplatz aufgebaut. Nach Norden führte ein Trampelpfad, und in einiger Entfernung konnten wir eine längliche Erhebung erkennen, vielleicht einen alten Bahndamm. Richtig, die alte Karte, die ich dabei hatte, wies an dieser Stelle eine Bahnlinie von Ost nach West aus. Ob da eine Brücke existierte? Wir folgten dem Pfad. Hoch auf den Damm, und tatsächlich, da war eine anscheinend noch intakte Brücke über den Bach! Vorsichtshalber nahmen wir sie erst einmal zu Fuß in Augenschein. Sie schien aber noch sehr stabil zu sein, also nichts wie rüber in den gelobten Westen. Das Pärchen, das mit dem Auto auf der anderen Seite in den Büschen stand, schaute uns ausgesprochen irritiert an. Da glaubt man nun, man sei am Ende der Welt und ungestört, da kommen so'n paar beknackte Endurofahrer über die grüne Grenze aus der DDR ...!
Irgendwie waren wir jetzt doch froh, wieder den glatten Asphalt einer Bundesstrasse unter den Rädern zu haben und etwas schneller fahren zu können als maximal 80. Wir sahen zu, daß wir auf die Bahn kamen, und so waren wir gegen 23 Uhr wieder zu Hause, um ein Erlebnis der Kategorie "das vergißt Du Dein Lebtag nicht" reicher.
Der Harz. Unterteilt immer noch in Ost- und Westteil. Der Westteil touristisch voll erschlossen, überall Hotels, Skilifte und vierspurige Straßen, die dorthin führen; an Wochenenden, bei schönem Wetter zumal, sommers wie winters nicht zu genießen. Die Natur, die Landschaft? Kann man sich vorstellen. Ursprünglicher, urwüchsiger dagegen der Ostteil. Keine brutal in die Landschaft geschnittenen Schnellstraßen, sondern kleine verwinkelte Straßen, die sich der Topographie angepaßt haben. Aber keine Angst, auch durchs Bodetal wird irgendwann mal eine vierspurige Straße führen, die störenden Felsen werden weggesprengt. Damals war auch noch nicht so viel los hier, die Leute hatten wohl Angst vor den ach so schlechten Straßen. Etwas später sah das schon anders aus, ich hatte die Clubausfahrt schon kurz erwähnt. Bei der Rückfahrt fing die Autoschlange kurz vor Wernigerode an und hielt sich bis zur Grenze, immerhin gut 20 km! Das war das bislang letzte Mal, daß ich im Harz war, keine Ahnung, wie das jetzt aussieht. Was sich allerdings im Ostharz noch brutaler bemerkbar macht als im Westteil, ist die Industrie, sprich Kalk- und Feldspatabbau und Nachfolge-Industrie. Da bleibt noch viel an Sanierung zu tun.
Noch ein paar Bemerkungen zum Schluß. Ich bin mir darüber im klaren, daß die Fahrt auf den Brocken eine durchaus anfechtbare Aktion war. Das und die Tatsache, daß unser Auftauchen dort oben von der Vopo recht locker gehandhabt worden war, war auch der Hauptgrund, daß ich bisher nichts darüber geschrieben habe. Heute sieht das anders aus, der Brocken ist (noch jedenfalls) Naturschutzgebiet, und wenn da jetzt einer mit dem Motorrad hochfährt, wird er wohl mit einer empfindlichen Strafe zu rechnen haben, und das ist auch gut so. Andererseits - wer weiß, ob wir auch so davongekommen wären, wenn wir, wie es bei manchen Endurofahrern als schick gilt, wie die kranken Affen mit offenen "Wettbewerbs"-Dämpfern durch den Wald gebraten wären. Ich kann nur hoffen, daß diese Spezies möglichst bald ausstirbt, denn die blamieren nicht nur die Endurofahrer, sondern die gesamte Innung und tragen wesentlich mit dazu bei, daß immer mehr schöne Strecken, natur wie asphaltiert, gesperrt werden. Wie sagte doch der Förster, den Bernd, Eberhard und ich (unterwegs mit R 100 GS, Africa Twin und Transalp) auf einem Sandweg zwischen Winsen und Meißendorf trafen: "Eigentlich müßte ich Euch ja böse sein, aber wenn sich alle so benehmen würden wie Ihr, wäre das Problem nur noch halb so groß." Wahre Worte. Wie ich am Neujahrstag feststellen mußte, ist dieser Weg mittlerweile auch gesperrt. Das gerade Gesagte gilt natürlich nicht nur für Endurofahrer, sondern auch für die Pendants unter den Straßenfahrern.
In diesem Sinne, freut Euch schon mal auf die kommende Saison mit vielen problemlosen Kilometern
Euer
Deti