In einem anderen Land ...

Mit Enduros durch die Julischen Alpen

Text: Detlev Müller
Fotos: Detlev Müller, Heinz-Ulrich Frahn

"Wo fahrt ihr denn dieses Jahr hin, der Horst und Du?", wollte Ulli irgendwann mal wissen. "Horst kann nicht, und ich weiss nicht", murmelte ich. "Ich würd' gern mal wieder nach Slowenien", meinte Ulli und liess es wirken.
Slowenien also. "Abenteuer-Urlaub, wie? Kugeln um den Helm pfeifen lassen!" war die Reaktion der meisten auf unsere Pläne. Unsinn, der Krieg findet im Süden Kroatiens, in Bosnien und Serbien statt; in Slowenien gab's 1991 etwas Stress mit der damaligen jugoslawischen Armee, und seitdem ist es da ruhig. Also machen wir uns eines heissen Samstags auf die Stollensocken, quälen uns auf der Autobahn bis hinter Salzburg, um dann die paar Kehren zur Radstädter Tauernhöhe, unserem ersten Tagesziel, hochzufliegen. Bei Werner und Chris vom Hotel Solaria holen wir uns noch den einen oder anderen guten Tip, und dann wird es allmählich ernst. Von der Tauernhöhe aus geht es über den Katschberg und durchs Liesertal bis Lieserbrücke, wo wir uns von Hermagor aus über Guggenberg nach Jenig das erste Mal seitlich in die Büsche schlagen.
Über den Nassfeld-Pass, wo ausgerechnet heute ein deutsch-italienisch-österreichisches Gebirgsjägertreffen stattfindet ("Reich mir die Hand, Kamerad!") und wir mit den Motorrädern Slalom um Autos, Menschen und Hunde fahren müssen, erreichen wir Pontebba, wo wir uns an der Brücke über die Pontebbana rechts in Richtung Studena Alta und Valle d'Aupa halten, eine zwar asphaltierte, aber nette Möglichkeit, ins Valle de Resia zu gelangen. Über den Sella Carnizza, eine asphaltierte, sehr schöne, sehr unübersichtliche, sehr schmale Passstrasse gelangen wir nach Uccea. Diese Strasse ist wirklich mit Vorsicht zu genießen, Ulli hatte in einer Linkskurve Kontakt mit einer BMW. Gut, dass nichts weiter passiert ist.
Slowenien empfängt uns standesgemäss mit einem Stück Schotterpiste, garniert mit Wellblech der übleren Sorte. Ein Zimmer ist auch schnell gefunden - in Lepena - einem Seitental des Soca-Tales - im Camp Klin bei Josko und Jerica. Eigentlich wollten wir ja nur 3-4 Tage da bleiben, aber weil's so schön war ... Was ist nun zu tun in Slowenien? Wer will, kann fischen - die durchweg klaren und sauberen, mit einer irren türkisenen Farbe versehenen Gewässer der Alpenregion sind voll von Fischen - speziell Forellen und Äschen. Wer den Fischen nicht ans Leder will und die sportlich anstrengendere Art mag - wie wär's mit Wildwasserkajak oder Rafting? Die Soca bietet da ungeheure Möglichkeiten. Obwohl - ungefährlich ist die Soca nicht, speziell im Oberlauf. Vor einigen Jahren ist ein deutscher Kajakfahrer in der großen Soca-Schlucht ums Leben gekommen - eine Tafel am Ausgang der Klamm erzählt davon. Touristisch und geologisch interessant die Adelsberger Grotten bei Postojna - eine Karsthöhle, die zweitgrösste begehbare Höhle der Welt. Die haben wir allerdings für's nächste Mal aufgehoben. Und motorradmässig? Nun, klare Geschichte: die Mangrt-Strasse, ein Enduro-Stich zum mit 2064 m höchsten befahrbaren Punkt Sloweniens. Der Vrsic-Sattel, mit 1611 m Passhöhe wahrlich nicht der höchste in den Alpen - dennoch mit seinen 50 Kehren rauf und runter und den sich bietenden Ausblicken unterwegs (z.B. von der elften Kehre aus der Blick auf das Pogacnikov- Fenster, eine ganz berühmte alpine Lokation) ein sehr interessanter Pass. Charakteristisch sind auf der Nordrampe die kopfsteingepflasterten Kehren - ein Relikt aus der Zeit, als der Vrsic noch eine unbefestigte Strasse war. Das war schon das bekannte - die 1:250.000 von Freytag und Berndt weist aber noch eine Unmenge von kleinen weißen Straßen auf - in Slowenien sind das bist jetzt meistens Schotterpisten, obwohl sie auch nach und nach unter Asphalt verschwinden. Und wer weiss, was da noch so alles ist, was die Karte nicht verrät... Auf denn, entdecken wir das Land!

Erste Eindrücke

Die erste Entdeckungstour bringt uns von Lepena aus das Soca-Tal (die Einheimischen nennen es Trenta-Tal, nach einem der grösseren Orte hier) aufwärts zum Vrsic. Wenige Kehren vor der Passhöhe ist auf der Südrampe das Mundloch eines alten Tunnels zu sehen - wir müssen natürlich probieren, ob der befahrbar ist. Er ist - aber natürlich ist Vorsicht angesagt. Diese alten Tunnels werden natürlich nicht mehr gewartet, und so liegen dann einige Felsbrocken im Weg, einige üble Löcher tauchen plötzlich im Scheinwerferkegel auf. Nach 300 m spuckt uns der Tunnel wieder auf die "richtige" Strasse. An der 9. Kehre statten wir der alten russischen Kapelle einen Besuch ab. Diese Kapelle wurde für die 400 russischen Kriegsgefangenen errichtet, die im ersten Weltkrieg den Vrsic-Pass für die Österreicher erbauen mussten, als Nachschubweg für die Isonzo-Front. Kurz vor Kranjska Gora passieren wir einen künstlich angelegten See, dessen am Ufer postierter eherner Steinbock sicherlich das meistphotographierte Tier in den julischen Alpen ist.
In Kranjska Gora halten wir uns rechts Richtung Jesenice, und in Mojstrana fahren wir dann ins Radovna-Tal ein, wo wir ein erstes Mal einen Eindruck von den slowenischen Schotterpisten bekommen: das, was wir später "rolling stones" nennen, nämlich tiefen und lockeren Mittelschotter, der am besten mit der auch im Tiefsand bewährten Methode "Gas auf und durch" zu bewältigen ist, Steigungen bis zu 18%, steile Spitzkehren. Über Gorje, Mrzli Studenek und Stara Fuzina, eine wunderschöne kurvenreiche Asphaltstrasse, erreichen wir den Bohinjsko jezero, touren hinüber nach Bled, lassen die Beine im warmen Wasser des Blejsko jezero baumeln, gönnen uns noch einmal die Fahrt durch das Radovne-Tal und fahren dann von Mojstrana aus noch die Stichstrasse zur Aljazev Dom, eine Schotterpiste mit bis zu 25% Steigung. Aljazev Dom ist eine bewirtschaftete Hütte am Fuss des Triglav, des höchsten Berges Sloweniens. Sie ist benannt nach Jakov Aljaz, Pfarrer und Bergsteiger, der den Triglav 1895 für den symbolischen Preis eines Golddinars kaufte und somit quasi zum Begründer des heutigen Triglav Nationalparks wurde. Interessant ist die Geschichte der Namensgebung dieses Berges. Nach Adolf Gstirner wurde der Berg von 1573 bis ca. 1800 als Terglou oder Terglau bezeichnet, der Name Triglav (die Einheimischen sprechen es Triglau aus) tauchte erst nach 1800 auf. Unbestritten ist die Bedeutung des Namens: Dreiköpfiger, allerdings kann man ihm nur aus einem ganz bestimmten Blickwinkel mit einiger Phantasie drei Häupter zugestehen. Es ist also nicht so ganz klar, ob Triglav seinen Namen auf Grund seines Aussehens erhalten hat. Eine zweite Version leitet den Namen von einer dreiköpfigen Gottheit ab, die hier oben ihren Sitz haben soll. In der Tat kennt die slawische Mythologie einen Gott namens Triglaf, der von den Slawen in Deutschland verehrt wurde und die Herrschaft über Luft, Wasser und Erde innehatte. Bis heute ungeklärt ist allerdings, ob er auch von den Slowenen hier im Krain verehrt wurde.

Nach der Tour durchs Radovne-Tal fühlen wir uns fit für grössere Aufgaben: trotz etwas grieseligen Wetters wollen wir auf den Mangrt fahren. Kurz hinter dem ersten Tunnel allerdings erwischt uns ein Unwetter mit allem, was dazugehört: Blitz, Donner, Hagelschlag. Schnell retten wir uns zurück in den Tunnel und warten das Gewitter ab. Nach eingehender Analyse der Wetterlage kommen wir aber zu dem Schluss, dass der Mangrt uns heute nicht oben haben will und brechen die Aktion fürs erste ab. Auch das ist eine eiserne Regel für Hochgebirgsfahrer: das Wetter kann sich rasend schnell ändern, und wenn Dich ein Gewitter auf dem Gipfel erwischt, hast Du ganz schnell ganz schlechte Karten. Wenn Du also nicht sicher bist, wie sich das Wetter entwickelt, verschiebe die Tour; und wenn sich oben irgendwo dunkle Wolken zusammenbrauen, dann mach, dass Du wegkommst. Stattdessen inspizieren wir die Flitscher- Klause, ein überraschend gut erhaltenes, an der Koritnica-Klamm unterhalb des Passo di Predil gelegenes österreichisches Grenzfort aus dem 19. Jahrhundert. Von militärischen Aktivitäten seit alters her zeugen hier ein fürchterliches Denkmal mit einem verwundeten Löwen aus der Zeit Kaiser Franz-Josephs und ein Schild an der Felswand gegenüber der Flitscher-Klause, das davon kündet, dass "Der woll geporn Herr Georg Phillip Herr von Geras hat die Festung alspaut unt renovirt unt die Baser erfunten im 1613". Auch dies war aber noch nicht die erste Festung an dieser Stelle, das war vielmehr ein venezianisches Holzfort aus dem Jahre 1470. Damals verlief hier die Grenze zwischen Venezien und dem Habsburgischen Reich. Überhaupt findet man in Slowenien fast auf Schritt und Tritt Zeugen der beiden Weltkriege, Mahntafeln, die besagen, dass hier ein ganzes Dorf ausgelöscht wurde (so geschehen z.B. im Radovna-Tal im Jahre 1944), oder dass an dieser Stelle im zweiten Weltkrieg ein Häuflein Partisanen von Deutschen zusammengeschossen wurde. Erstaunlich unter diesen Aspekten die grenzenlose Freundlichkeit der Slowenier, auch und gerade Deutschen gegenüber, und wo immer wir mit der einen oder anderen Schwierigkeit zu kämpfen hatten, weil wir uns z.B. in den endlosen Wäldern etwas verfahren hatten und plötzlich auf einem Einödhof standen, wurde uns mit der grössten Selbstverständlichkeit weitergeholfen.

Mangrt, wir kommen!

Das Wetter hat sich beruhigt, wir nehmen den Mangrt ein zweites Mal in Angriff. Wie gut es war, dass wir den ersten Versuch abgebrochen hatten, zeigt sich zwischen dem 3. und 4. Tunnel: die Fahrbahn ist abgerutscht, ein riesiges Loch klafft, ein knapper Meter ist stehengeblieben. Der sieht aber stabil aus, und wir fahren weiter. Ein kleines Enduro-Treffen geht um vor dem fünften und letzten Tunnel: eine Schneewehe versperrt die Einfahrt bis auf eine schmale Passage, und hinter dem Tunnel, das kann man von hier aus schon sehen, macht sich ein nächstes Schneefeld breit. Die Gruppe, die gerade dabei ist, sich an den Abstieg zu machen, sagt aber, dass die Passage möglich ist. Wir unterhalten uns noch mit der Besatzung des Autos (!), das hier oben steht, und als die Leute erfahren, dass mittlerweile die Strasse abgerutscht ist, werden sie bleich. Das Auto wird wohl noch einige Tage hier stehenbleiben müssen. Wir machen uns an den weiteren Aufstieg. Das Schneefeld hinter dem Tunnel lässt zwar nur eine gemein schmale Passage frei, aber wir bringen die Motorräder und uns gut vorbei. Nach dem dritten Schneefeld, das wir überfahren müssen, machen wir erst einmal Pause. Wir stehen hier auf einer kleinen Hochebene, die einen herrlichen Blick freigibt auf die Berge ringsum, den Mangrt mit seinem beeindruckenden Schuttkegel, den Jalovec, im Hintergrund den Kanin. Ich steige noch etliche Meter höher und setze mich auf eine Felsnase hoch über einer tiefen Schlucht, zur linken den Mangrt, auf der gegenüberliegenden Seite das grossartige Jalovec-Massiv und schaue einfach, lasse die grandiose Landschaft auf mich wirken. Es ist so still und friedlich hier, nur das Brummen der Insekten und hin und wieder das Fallen eines Steins sind zu hören. Ich bin froh, hier zu sein, Ulli, das Moped und der Mangrt können warten. Bald aber höre ich von unten das ungeduldige Brummen der Africa- Twin, und beim Abstieg sehe ich Ulli sich schon in den Kehren bei der alten Mangrt- Hütte austoben.
Wir treiben uns fast den ganzen Nachmittag hier oben herum, vespern, spielen mit dem Wahnsinns-Echo, geniessen die Aussicht auf die Laghi di Fusine tief unten im Tal, die Dolomiten, die Gurktaler Alpen und, in weiter Ferne, den Grossglockner. Auf der Suche nach Fotomotiven kraxeln wir in den Felsen herum, und irgendwann am späten Nachmittag machen wir uns an den Abstieg.

...und noch mehr Schotter...

Von oben hatten wir einen Weg mit ein paar irren Serpentinen gesehen, der unter Garantie nicht zur ,offiziellen" Mangrt-Strasse gehört. Hinter dem letzten Tunnel (von oben gesehen) finden wir den Seitenweg, und weil wir alles probieren müssen, probieren wir auch den. Es ist dies eine ganz alte, nicht unterhaltene Piste, intern klassifiziert als Schmuggelpfad, und wir haben die Hoffnung, hier einen anderen Weg ins Tal gefunden zu haben. Aber wie das Leben so spielt - nach ca. 3 km und der trialmässigen Überwindung von zwei Erdrutschen ist definitiv Schluss.
Eine andere schöne Endurostrecke geht an der Grenzstation von Uccea links in die Berge (Anfahrt aus dem Soca-Tal über Zaga). Auch hier finden wir wieder die bekannten rolling stones, und in einigen Kehren gewinnen wir rasch an Höhe. Nach 5 km kommen wir an eine Gabel - links versperrt eine Schranke die Weiterfahrt, rechts ein Tor. Zu allem Überfluss sehen wir hinter einer Hütte zwei Militär- Autos geparkt, und eine Gruppe ziemlich wild aussehender Soldaten bricht aus dem Gebüsch. AchduScheisse. Aber nach der ersten beiderseitigen Überraschung grinsen uns die Jungs breit an. Eine kurze Unterhaltung in einem wilden Gemisch aus Deutsch, Englisch und Slowenisch (wir haben mittlerweile einen Wortschatz von 30 Wörtern drauf!), wir zeigen auf der Karte, wo wir hin wollen, ein kurzer Befehl des Anführers, und einer der Jungs sprintet los und öffnet uns das Tor. Na denn, "Hlawa lepa, ne svidenje!" Zwischen weitläufigen Almwiesen gewinnen wir weiter langsam Höhe, auch hier sind wir völlig allein. Auf der Passhöhe bei einem weiteren 2.- Weltkriegs-Denkmal haben wir die Wahl zwischen drei Pisten - der Kompass sagt uns, dass wir uns rechts halten sollen. Einen kleinen, steilen Stichweg probieren wir noch, der sich zwar als Sackgasse entpuppt, uns aber mit einem wunderschönen Ausblick auf Rombon, Mangrt, Jalovec, Skrlatica und das Triglav- Massiv belohnt.
Der Abstieg führt in zwanzig Kehren über die steile Südrampe hinunter nach Sedlo - kein ganz leichter Auftrag angesichts der Beschaffenheit des Weges. In Sedlo halten wir uns rechts Richtung Breginj und Italien, aber die Grenzer wollen uns nicht nach Italien einfahren lassen. Dies sei ein Grenzübergang nur für Einheimische, und auch nur wenn sie im Umkreis von max. 10 km wohnen würden. Nun gut. Wir sind nicht gar so traurig, denn das allabendliche Gewitter dräut schon, und die Strasse zur Station ist, wenn auch asphaltiert, wunderschön zu fahren und bar jeglichen Verkehrs. über Borjana und Staro Selo schwingen wir hinunter nach Kobarid und beeilen uns ,nach Hause" ins Camp zu kommen.
Wovon hatte Werner noch so geschwärmt? Richtig, "Partisanen-Highway". Also hin. Von Kobarid aus fahren wir auf der 10-10 zunächst Richtung Tolmin, biegen aber in Idrsko schon rechts ab nach Livek, wo wir uns links halten und langsam, aber sicher Höhe gewinnen. Wir umfahren den 1243 m hohen Gipfel des Kuk und halten uns bei Abzweigungen immer auf der Höhe (schliesslich ist das ja eine Kammstrasse) und immer in der Nähe der Grenze zu Italien, die hier einen Knick von Südost nach Südwest macht. Nach einem aufregenden Blick ins Soca-Tal und auf Tolmin kommen wir allmählich in die Gegend, die Werner und seine Freunde zu der Namensgebung veranlasste. Wir fahren durch dichte Wälder, an einer ehemaligen Grenzstation vorbei und an vielen Höhlen, in denen man noch heute alte Munition - Kartätschen und ähnliches Zeugs - finden kann. Ja, und natürlich auch an vielen Gedenktafeln. Diese Gegend hat schon einen sehr eigenen Charakter. In Pusno, einem Kaff mit acht Häusern, das noch nicht einmal in der Karte steht, wissen wir mal wieder nicht so richtig weiter. Aber, wie meist, ist die Hilfe nicht weit, diesmal in Gestalt eines älteren Slowenen, der sogar an Hand unserer Kennzeichen uns gleich als Hannoveraner identifiziert. Des Rätsels Lösung liefert er gleich mit: zu seiner Berufszeit war er häufiger auf der Hannover -Messe. Und weil es so heiss ist hier draussen, lädt er uns erst einmal in sein Haus ein auf ein Glas selbst gekelterten Wein. Na gut, ausnahmsweise, ein Glas. Er erzählt uns, dass in Pusno nur noch 15 Leute wohnen, der jüngste wäre 64. Erfrischt und abgekühlt machen wir uns schliesslich auf den Weg über Kambresko nach Lig, und als uns der Wald schliesslich entlässt, finden wir uns in einer lieblichen, von einzelnen Hügeln, Weinbergen und Obstgärten geprägten Landschaft wieder, die schon einen mehr als deutlichen mediterranen Einfluss zeigt: der Brda. Wir besichtigen das Schloss in Dobrovo, das derzeit eine Ausstellung über die keltische Kultur in dieser Gegend beherbergt, und schlagen schliesslich wieder die Nordrichtung ein - wir wollen ja vor dem abendlichen Gewitter wieder zu Hause sein.
Das Wetter schaut aber ganz gut aus, also beschliessen wir, nicht über die 10-10 zu fahren, sondern biegen kurz vor Kanal rechts in Richtung Morsko und Kanalski Vrh ab. Über zum Teil frisch asphaltierte, zum Teil tief mittelschotterige Wege touren wir durch die Banjsice, einen Mittelgebirgszug, dessen höchste Gipfel an die 1000 m reichen. Deutlich zu sehen ist, dass wir uns hier schon im Dolinengebiet befinden - überall sieht man mehr oder weniger grosse und tiefe Kuhlen in der Landschaft, die dadurch entstehen, dass kohlensäurehaltige Grundwässer das hier anstehende Kalkgebirge anlösen und Höhlen schaffen, die irgendwann, wenn das Deckgebirge nicht mehr tragfähig genug ist, einbrechen. Ist das Deckgebirge stark genug, bleiben die Höhlen bestehen - z.B. die Adelsberger Grotte in Postojna. Bis Lokovec ist die Tour gut nachvollziehbar, dann aber klafft zwischen der Kartenangabe und der Realität doch eine nicht zu übersehende Lücke, und wenn man dann keinen Einheimischen trifft, der einen wieder auf den richtigen Weg bringt, kann man stundenlang in den Wäldern umherirren. Glücklich dann dennoch der, der genug Sprit dabei hat...Wir schaffen es doch irgendwie nach Kanalski Lom und nach Tolmin, und auch jetzt haben wir keine Lust, über die gut ausgebaute Staatsstrasse zu fahren, sondern hangeln uns über die Dörfer links der Soca nach Kobarid. Den Abschluss des Tages bildet ein kurzer Endurostich zum Slap Kozjak, einem kleinen, aber feinen Wasserfall, den man erreicht, wenn man von Kobarid aus Richtung Dreznica fährt.
Die Gegend, die wir heute durchfahren haben - der "Partisanen-Highway", die Banjsice, Kobarid, Kanal - ist im übrigen der Schauplatz von Hemingway's berühmtem Roman "A Farewell To Arms" (in der deutschen übersetzung: In einem anderen Land), in dem der grosse Erzähler seine Erlebnisse im Ersten Weltkrieg verarbeitet, als er als Sanitätsoffizier in der italienischen Armee Dienst tat.
Die Karawanken wollen wir auch noch erkunden - jenen Teil der Alpen, der mit Gipfeln knapp über 2200 m die Grenze zwischen Slowenien und Österreich bildet. Vier Möglichkeiten gibt es, das Gebirge zu überqueren und somit von Österreich nach Slowenien einzureisen : von West nach Ost sind das der Wurzenpass , der Karawankentunnel, der Loibltunnel und der Seebergsattel, fahrerisch mit Sicherheit der weitaus interessanteste Karawankenpass. Also erklimmen wir wieder einmal den Vrsic - am Sonntag kein wahres Vergnügen. Wie der Linienbus Kobarid - Ljubljana an den kreuz und quer geparkten Autos auf der Passhöhe vorbei kommen soll, ist uns schleierhaft. In Kranjska Gora halten wir uns wieder rechts Richtung Jesenice und verlassen das Tal der Sava Dolinka kurz vor Mojstrana, um uns über Dovje links in die Berge zu schlagen. Interessant ist übrigens ein Besuch auf dem Friedhof von Dovje - Bergsteiger aus fast aller Herren Länder haben hier ihre letzte Ruhestätte gefunden, die im Kampf mit dem Triglav unterlegen waren.
Wir halten uns an jeder Weggabelung bergauf, die Piste wird allmählich immer grobschotteriger und steiler, und schliesslich fordert sie mit kindskopfgrossen Steinen und geschätzten 35 % Steigung doch alle Erfahrung, die wir im Laufe der Zeit auf allen möglichen Schotterpisten gesammelt haben. Schliesslich endet dieser Stich auf einer Alm, von hier aus geht es nur noch über Viehsteige weiter, und mal ganz davon abgesehen, dass so etwas nicht ganz das richtige Terrain für eine Transalp und eine Africa Twin ist, sollte man es sich auch in Slowenien verkneifen, quer über die Wiesen zu fahren. Es ist mittlerweile auch verboten. Aber auch hier werden wir mit einem herrlichen Blick über das Sava-Tal hinweg auf den Triglav belohnt. Irgendwo überqueren wir den Karawankentunnel, treffen bei Planina pod Gorico oberhalb Jesenice das erste Mal wieder auf Asphalt, können uns aber nicht entschliessen, ins Sava-Tal hinabzufahren, sondern wollen versuchen, die in der Karte eingezeichnete Piste zum Loiblpass zu finden. Für solche Aktionen sollte man aber etwas Grossmassstäblicheres haben, wir jedenfalls beschliessen, nach etlichem Hin und Her und Im-Kreis-fahren in den Wäldern von jetzt ab nur noch bergab zu fahren. Irgendwo zwischen Jesenice und Bled stossen wir wieder auf die Staatsstrasse 1 im Sava-Tal und rollen jetzt über Asphalt dem Loibl entgegen. Wir wollen versuchen, über den alten Loiblpass nach Österreich zu fahren, ich muss aber zu unserer Schande gestehen, dass wir ihn nicht gefunden haben. Ortskundige Wanderer haben uns später erzählt, dass er hinter der Grenzstation kurz vor dem Tunnel abginge. Und zugesperrt ist der Weg mit einem Tor, wie wir dann festgestellt haben. Was wir aber fanden, war eine Piste, die kurz vor dem KZ-Denkmal nach rechts führt mit einem Wegweiser zur Planina Korosica. Schon nach gut 200 m entpuppt sich dieser Weg als so ziemlich das übelste, das ich jemals unter den Rädern hatte. Im ersten Gang quäle ich die Transalp mit Vollgas den Weg hoch - dennoch steht der Motor das eine oder andere Mal ganz kurz vorm Abwürgen. Weit vorausschauen, heisst die Devise, um frühzeitig eine Passage zwischen den Felsbrocken zu finden - anhalten ist hier nicht. An der ersten Spitzkehre stellen wir die Maschinen ab und erkunden den weiteren Verlauf zu Fuss, um dann festzustellen, dass dieser Weg mit einer leichten 350er eine Menge Spass bereiten würde, aber wohl doch die Grenze des Machbaren mit unseren Dickschiffen darstellt. Und weil wir die noch ein wenig länger fahren wollen, hangeln wir uns wieder bergab. Es ist keine Schande, mal umzudrehen, eher schon, ohne Motorrad wieder heimzukommen, weil die Maschine irgend einen Abhang hinutergerutscht ist.
Ein paar Worte zu den Spielregeln in Slowenien: Im Prinzip darf man alles befahren, was als Weg kenntlich ist. Querfeldeinfahren ist verboten - als vernünftiger Endurofahrer macht man das eh' nicht. Die in Deutschland so unbeliebten runden weissen Schilder mit rotem Rand - hier in Slowenien schliessen sie nur jede Haftung aus. Meistens steht das auch noch als Zusatz unter dem Schild, "Gozdna cezta. Vozis na lastno odgovornost, prednost imajo vozila GG" heisst die Parole, auf deutsch "Waldweg, befahren auf eigene Gefahr, Fahrzeuge der Forstverwaltung haben Vorrang." Dass man die Erlaubnis, hier zu fahren, aber nicht als Freibrief für hemmungslose Raserei zu interpretieren hat, versteht sich von selbst. Umdrehen ist allerdings dann angesagt, wenn eine geschlossene Schranke den Weg versperrt - und das sollte man sehr ernst nehmen. Jeglicher Verkehr verboten ist innerhalb der inneren Grenzen des Triglav-Nationalparks - selbst Mountainbiker müssen draussen bleiben. Der Triglav-Park will zu Fuss erkundet werden, also nicht vergessen, die Wanderschuhe oder die Bergstiefel einzupacken, je nach persönlicher Vorliebe. Möglich ist alles - von der gemütlichen Wandertour über Klettersteigkraxeleien jeden Schwierigkeitsgrads bis hin zum ernsthaften Klettern.

... und in Italien?

Irgendwann aber heisst es Abschied nehmen von Slowenien, wir müssen ja auch mal wieder nach Hause, und wir haben uns noch einiges in Italien vorgenommen. Zum Beispiel die Strasse durch das Valle Pontebbana. über den Passo di Predil, wo wir - wie es so schön heisst - zufällig unsere Freunde Dieter und Rüdiger treffen (Mann, war das ein Hallo!), den Selle Nevea und durchs Valle Aupa kommen wir wieder nach Pontebba und halten uns diesmal Richtung Studena Bassa. "Strada interrotto", erfreut uns ein Schild und kündet von "lavori in corso". Ach egal, wenn wir schon mal hier sind, fahren wir auch, bisher sind wir noch durch jede Baustelle gekommen. Nun, eine Baustelle ist es nicht, die den vierrädrigen Kollegen wohl sehr zu schaffen gemacht hätte, aber üble Unterspülungen, die die Strasse durchaus wie eine Miniaturausgabe der umgebenden Berge aussehen lassen. Nun, uns schockt das nicht, wir müssen nur aufpassen, dass bei der Berg- und Talfahrt die Federungen nicht durchschlagen - die Motorräder sind ja wieder voll beladen. Und in den Spitzkehren müssen wir etwas vorsichtig sein - in voller Schräglage über einen Buckel fliegen und ins nächste Tal krachen ist nicht so toll. Nachdem wir die Spitzkehren hinter uns gelassen haben, gewinnen wir nur langsam weiter an Höhe, kommen allmählich an die Baumgrenze heran. Bis wir oben am 1567 m hohen Passo di Lanza an einer offensichtlich verlassenen, hin und wieder aber zu Feten und übernachtungen genutzten Alm eine Pause einlegen, haben wir seit Studena Bassa keine einzige Menschenseele getroffen. Weiter geht's über eine fast liebliche Hochebene, und die ersten Menschen seit langer Zeit treffen wir erst wieder an der bewirtschafteten Alm, da wo der Weg scharf nach Süden abknickt und sich hinunter nach Paularo schlängelt. Den in der Karte eingezeichneten Weg, der an dieser Stelle weiter nach Westen, nach Timau an der Südrampe des Plöckenpasses führt, können wir leider (oder Gott sei Dank?) nicht testen, weil er mit einer Schranke gesperrt ist. Wenn ich die Karte richtig interpretiere, wäre das aber eventuell eine ziemlich enge Sache geworden; gut also, dass uns die Entscheidung abgenommen wurde.
Von Paularo aus wenden wir uns auf kleinen Strassen Richtung Paluzza und Cercivento. Weil wir ein wenig getrödelt haben, lassen wir den Stich auf den Monte Paularo für diesmal sein - wir wollen ja noch über die Panoramica delle vette fahren - eine alte Militärstrasse, die in weitem Bogen unter halb des Monte Crostis, des Monte Pezzacul und des Piz de Mede von Ravascletto nach Comeglians führt. Für mich ist die Panoramica, die ihren Namen nicht von ungefähr führt, eine der schönsten Alpenstrassen, auch wenn sie fahrerisch wirklich keine Ansprüche stellt. Auch in ihrem unbefestigten Teil, der ungefähr ein Drittel der Gesamtstrecke von ca. 30 km ausmacht, ist sie problemlos mit Strassenmotorrädern, ja sogar Autos befahrbar. Unterwegs ergeben sich immer wieder tolle Ausblicke auf die Julischen Alpen, die Pesariner Dolomiten und, wenn man Glück und klares Wetter hat, gar auf die Sextener Dolomiten.
Jetzt drängt die Zeit, am Freitag müssen wir zu Hause sein. Noch eine Übernachtung zwischen Ampezzo und Andrazza, dann schnell über den Passo della Muria und den Col S. Angelo nach Schluderbach (Carbonin). Herbe Enttäuschung: die Strasse über Plätzwiesen (Prato Piazza) hinüber nach Pflung (Vallone) ist gesperrt - jetzt geht das hier auch schon los. Also fahren wir zähneknirschend über die Staatsstrassen 51 und 49 nach Valdaora (Olang), um von da den Furkel-Pass in Angriff zu nehmen. Bei der Abfahrt fällt uns eine klitzekleine Strasse auf, die sich links den Berg hinaufschlängelt, Rari Misci steht da als Ziel. In bewährter Manier halten wir uns an jeder Kreuzung bergauf, und als wir schliesslich in Rari Misci - einem Einöd-Bauernhof - ankommen und es anscheinend nicht mehr weitergeht, weist uns die uralte Bäuerin den Weg über ihre Wiesensteige hinunter nach S.Vigilio. Über das Würzjoch - mittlerweile auch asphaltiert und nicht mehr die versprochenen 2004 m hoch - fahren wir nach Brixen, dann durch das Valle d'Isarco auf schnellstem Wege über Sterzing nach Gossensass. Dort nimmt die Brenner-Grenzkammhöhenstrasse ihren Anfang - eine alte Militärstrasse aus der Zeit des ersten Weltkrieges, im wesentlichen geschottert, die entlang der italienisch- österreichischen Grenze in einem 40-km- Bogen hinüber nach Brennerbad führt. Die 1:250000-Strassenkarte Südtirol vom ADAC meint zwar, dass sie noch weiter führt - bis zum Brenner-Pass, aber das auszuprobieren müssen wir wegen wieder einmal fortgeschrittener Zeit auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Von Gossensass aus ist die Grenzkammstrasse nicht ganz einfach zu finden, man fährt zunächst Richtung Pflerschtal, muss dann den Bahnhof finden, überquert die Gleise und dann nimmt man die erste nichtgesperrte Strasse nach rechts in die Berge. Wenn man sich dann weiterhin an jeder Kreuzung bergauf orientiert, kann eigentlich nichts mehr schiefgehen. Über die zunächst asphaltierte Strasse gewinnen wir in zahlreichen Kehren an Höhe und lassen rasch die Baumgrenze hinter uns, bis wir in knapp 2000 m Höhe den Kamm erreichen, dem die Strasse ihren Namen verdankt. Ohne grosse oder gar spektakuläre Kehren führt die Strasse an zahlreichen ehemaligen Militäranlagen vorbei nun ohne nennenswerte Höhenunterschiede nach Nordosten. Unterwegs kann man über Stichstrassen verschiedene Gipfel der 2200m- Kategorie erreichen - Sattelberg, Wechseljoch, Steinjoch, Kreuzjoch -, und immer wieder ergeben sich aufregende Ausblicke ins durch die Brenner-Autobahn nachhaltig verschandelte Eisack-Tal, auf die Zillertaler Alpen im Osten und die Stubaier Alpen im Westen. Schade, dass wir so bald wieder hinunter müssen ins Tal. Die Beschaffenheit der Strasse ist durchaus unterschiedlicher Natur, bisweilen tatsächlich fast nur mit dem Zweirad zu befahren, aber dennoch trifft man hier hin und wieder Autos an. Also ein bisschen vorsichtig sein. Dass es auch sonst nicht ganz ungefährlich ist hier oben, davon zeugt der hinter einer Kehre fast mitten auf der Strasse liegende junge Felsen, an dem laut Inschrift ein gewisser Michäl seine XT zerlegt haben soll. Tja, das war's für dieses Jahr - von der elend langen Rückfahrt über Autobahnen nach Hannover mal abgesehen.

... und sonst?

Wir haben wieder viele nette und interessante Leute kennengelernt - Josko, den alle auf dem Campingplatz nur "Chef" nennen, obwohl es eigentlich Jerica ist, die den ganzen Laden managet, wenn Josko tagsüber seinen Bagger über die Baustellen bewegt; Dr. Stravic, einen pensionierten Chirurgen aus Ljubljana, der unten am Klin sein Wochenendhaus hat, und der so spannend von seinen Einsätzen in sämtlichen Krisengebieten der Erde erzählen konnte; Otto, der Fast-Aussteiger aus Augsburg (O-Ton Josko: "Irgendwann bleibt der hier!"), der sich in den Unabhängigkeitswirren 1991 schnell ein Haus im Lepenca-Tal gekauft hat, zum Angeln aber lieber nach Norwegen fährt; das nette Ehepaar aus München, das wir auf unserer Wanderung zu den Krnskij jezeri kennengelernt hatten, und die sich auch schon fast in jedem Winkel der Welt herumgetrieben hatten; der alte Mann aus Pusno, der uns so spontan zum Wein eingeladen hatte; das Ehepaar aus Ljubljana, das wir auf einem elend steilen Weg getroffen hatten, den wir zunächst für den alten Loibl-Pass gehalten hatten, und das uns unten am Auto mit -zig Insidertips für schöne Ecken in Slowenien versorgte, die wir zwar registriert haben, aber nicht mehr wahrnehmen konnten. Aber es ist ja noch so viel Zeit, und es wird noch so viel hoffentlich sauberes und türkisfarbenes Wasser die Soca hinunterfliessen - ne svidenje, Slovenija - wir kommen wieder!

Detlev Müller, 08/94


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